Zwischen Wissen und Unwissen liegt bekanntlich eine gerade Linie, die man als Lernprozess bezeichnen kann, oder? Eigentlich klingt das plausibel, doch wenn ich mich ganz genau an diese ominöse Lernprozesse erinnere, sehe ich alles andere als Geraden. Es ist vielmehr ein auf und ab. Sozusagen eine Art Berglandschaft von Kurve, die meine verschiedenen Stadien von Verständnis und Unverständnis auf Zeit zeigt. Und dieses „Gebirge“ oder bessergesagt dieser Effekt hat auch einen Namen: Der Dunning-Kruger-Effekt.

Um dieses Auf und Ab des Dunning-Kruger Effekts besser zu verstehen, werde ich es an einem simplen Beispiel erklären. Nehmen wir an, du lernst, wie ich, gerade Autofahren. Vor der ersten Fahrstunde bin ich noch nie am Steuer gesessen, dementsprechend nervös war ich. Schliesslilch hatte ich praktisch gar kein Vorwissen. Meine Lernkurve des Autofahrens war also noch ganz am Nullpunkt.

Als die Fahrstunde dann vorüber war und ich zu Hause erzählte, dass ich diejenige gewesen bin, die über die 80km/h Strecke nach Hause gefahren ist, schoss meine Kurve in die Höhe. Es fühle sich an, als wäre ich ein Naturtalent und als ob ich schon fast alles konnte. Dem war natürlich nicht so, doch mit dem ersten Erfolgserlebnis in einer Fähigkeit, fühlen wir uns meist unschlagbar. Dies kommt davon, dass wir noch gar nicht wissen, was wir alles nicht wissen. Wir befinden uns also auf der ersten und höchsten Spitze dieser Kurve des Dunning-Kruger-Effekts. Die höchste Spitze ist es, weil wir später, wenn wir wieder Erfolgserlebnisse haben, bereits wissen, dass es noch viel mehr zu lernen gibt. Doch beim ersten Mal ist es immer am schönsten.

Deswegen trifft es uns auch heftig, wenn wir bemerken, dass wir wohl doch kein Naturtalent sind. Ich beispielweise habe gelernt, dass das Autofahren um einiges schwieriger ist, wenn der Fahrlehrer nebendran nicht mehr mit seinen eigenen Gas- und Kupplungspedalen hilft. Diese Erkenntnis ist auf der Kurve des Dunning-Kruger Effekts auf der Strecke zu finden, die von der ersten Spitze wieder nach unten ins „Tal der Unwissenheit“ führt. Bloss, dass wir an diesem Punkt gar nicht mehr so unwissend sind wie am Anfang. Wir haben erste Erfahrungen gesammelt und fangen nun an zu erkennen, was es neben den Grundfähigkeiten sonst noch gibt.

Doch je mehr wir erkennen, dass es noch vieles gibt, das wir nicht können, desto weiter nach unten geht die Kurve. Wir glauben, gar nichts mehr zu verstehen, obwohl dem eigentlich gar nicht so ist. Unsere Fähigkeiten steigen normalerweise linear mit der verstrichenen Zeit. Unsere Selbsteinschätzung gleicht jedoch eher der vorher schon erwähnten Gebirgslandschaft.

Während wir klammheimlich zu Experten auf einem Gebiet werden, gaukelt unsere Selbsteinschätzung uns vor, dass wir eigentlich noch gar nicht so gut sind. Einer kann es sowieso immer besser, denken wir. Das zu wissen ist gar nichts spezielles, das ist doch praktisch Alltagswissen, glauben wir, obwohl dies gar nicht der Wahrheit entspricht.

Die Kurve bleibt aber nicht immer im Tal, sondern steigt mit der Zeit wieder leicht an. Sie wird jedoch nie mehr so steil nach oben gehen, wie beim ersten Erfolgserlebnis. Dies ist unter anderem der Grund, warum wir kurz vor der Fahrprüfung daran zweifeln, ob wir wirklich bereit sind. Unserer Selbsteinschätzung zu folge fahren wir vielleicht ganz passabel, glauben aber, dass es noch lange nicht reicht, weil wir immer nur das sehen, was uns noch nicht perfekt gelingt. Auch, wenn dies meistens mehr an der fehlenden Routine als am fehlenden Können liegt. So sind unsere Fähigkeiten vor der Prüfung so gross wie noch nie, da wir noch nie so viel Erfahrung gehabt haben.

Dies ist allerdings etwas, was wir unserer Selbsteinschätzung ganz oft versichern müssen, da diese eben keine Gerade ist.

Geschrieben von:

"Write it. Shoot it. Publish it. Crochet it. Sauté it. Whatever, Make!" - Joss Whedon

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