In der heutigen Zeit ist die Verdrängung des Todes aus dem Leben gang und gäbe. Krebskranke verlagern wir in Spitäler, ältere Menschen bringen wir in Altenheime. Durch die Corona–Pandemie wird der Tod, durch die unzähligen Berichterstattungen über das Virus und seine möglichen lebensbedrohlichen Folgen, wieder allgegenwärtig. Um mit dieser Todesfurcht umzugehen, ziehen wir Masken an, begeben uns in Quarantäne und schränken unsere Freizeitbeschäftigungen ein. Doch wie sah die Angst vor dem Tod in der Epoche der Neuzeit aus? Wodurch wurde die Angst damals ausgelöst? Wie sind die Menschen früher mit der Todesangst umgegangen?

Frühe Neuzeit

«In that era, people had a familiarity with death far greater than ours, but feared particularly certain forms and certain aspects of dying.» (Prosperi 2015,15).

Das späte 16. Jahrhundert war eine von der Todesstrafe dominierte Ära in Europa. Hinrichtungen am Galgen oder mit der Axt, sowie das Rädern oder das Auseinanderziehen des lebendigen Leibes mittels Pferde standen an der Tagesordnung. Zudem wurde die Folter öffentlich durchgeführt, denn nichts war besser geeignet die Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen, als das Spektakel der körperlichen Bestrafung. Daher fürchteten sich die Menschen dieser Zeit vielmehr vor einer Verurteilung zum Tode und die damit verbundene grausame Folter und weniger vor dem Tod an sich. Die Angst vor der Hinrichtung wurde mit Hilfe von Zauberformeln bekämpft. Diese Mittel garantierten denjenigen, die es anwandten Empfindungslosigkeit.

Wie im Mittelalter üblich, hatten auch die Menschen der frühen Neuzeit Angst davor, ewiges Leid in der Hölle nach dem Tod zu erfahren. Ein Beispiel hierzu: Ricasoli, ein florentinischer Adeliger, hatte viele Male den Wunsch, sich selbst zu töten, aber er wurde von der christlichen Religion zurückgehalten. Die Angst vor dem Tod erwies sich als weniger stark als die Angst vor der Hölle. Die Menschen bezeichneten die zum Tode Verurteilten sogar als solche, die sich glücklich schätzten konnten, da sie ihr Todesdatum wussten und bis dahin begangene Sünden wiedergutmachen konnten, in dem sie beispielsweise gestohlenes Diebesgut zurückgaben. Diejenigen, die nicht zum Tode verurteilt waren, fürchteten also den plötzlichen Tod, wo sie keine Zeit mehr dazu hatten, ihre Sünden zu beichten und wiedergutzumachen und damit auf ewige Bestrafung in der Hölle verdammt waren. Die Angst vor dem Tod wurde damit gedämpft, indem gebetet wurde und durch das Lesen von Geschichten über christlichen Märtyrer.

Jüngere Neuzeit

«Todesangst durfte in ihrer offenen Form nicht gezeigt werden und trat in der gesellschaftliche sanktionierten Form der Angst vor dem Scheintod zutage.» (Stoessel 1983, 152).

Das 17. Jahrhundert gilt als Zeitalter der Aufklärung. Diese hatte auch enorme Auswirkungen auf das Verhältnis von Tod und Angst. Durch den Zusammenbruch des mittelalterlichen Sicherungssystem und der geistig–naturwissenschaftlichen Revolution, wurden neue Realitäten geschaffen und es wandelten sich dadurch auch die Ängste. So verfiel die Hoffnung auf ein Leben im Jenseits, was vielen Menschen grosse Angst vor dem Lebensende einflösste. Der Tod wurde aus fast allen Darstellungen verbannt und damit aus dem Bewusstsein der Menschheit verdrängt. Durch die Aufklärung genossen öffentliche Leichensektionen grosses Interesse. Angesichts des zerstückelten Körpers verfiel auch die Vorstellung einer Auferstehung. Damit wird die Angst vor dem Tod verdrängt und versachlicht und kristallisiert sich dann im 18. Jahrhundert erneut als eine spezifische Angst heraus, die Angst vor dem Scheintod; die Menschen fürchteten sich davor, lebendig begraben zu werden. Es galt als unangebracht die Todesangst offen zu zeigen, deshalb trat sie in der kollektiv geduldeten Angst vor dem Scheintod zutage. Der Scheintod bot den Menschen eine neue Möglichkeit des Unsterblichkeitsgefühls, denn es blieb die Hoffnung, vielleicht doch noch lebendig wieder aus dem Grabe herauszukommen. Deshalb wurde auch Rettungsapparate gebaut, was die Angst vor dem Scheintod ein wenig abschwächte. Wenn sich der Mensch bewegte, strömte Luft durch eine Röhre in den Sarg und es läutete eine Glocke und eine Fahne ging hoch, um auf die lebende Leiche aufmerksam zu machen. Die lange Röhre diente neben der Luftversorgung auch als Sprachverstärker, damit sich die vermeintliche Leiche zu Wort melden konnte.

Neuste Zeit

«[…] der Tod hat aufgehört, traurig zu sein, und wird als geradezu ersehnter Moment verherrlicht. Er ist die Schönheit.» (Ariès 1993, 783).

In der Mitte des 19. Jahrhunderts existierte ein Romantisches Todesmodell. Der Tod wurde romantisiert, als ein menschlicher Begleiter in Kunst und Literatur dargestellt. Das Sterben und das Leben nach dem Tod galten als schöne, friedvolle Erfahrungen. Eine romantische Darstellung des Todes wurde mit dem Hervorkommen eines Schmetterlings aus seinem Kokon verglichen. Der Mensch fürchtete nicht mehr das eigene Ableben, dafür aber den Tod des Anderen, die Angst davor, dass der Tod die ihm Nahestehenden entreisst.

«[…] it was the fear of the unknown that made death so frightening.» (Bourke 2005, 49).

Ein Jahrhundert später wurde die Allmacht und die Allgegenwart Gottes nicht mehr gefürchtet, somit nahm auch die Angst vor dem Höllenfeuer ab. Der Mensch hatte nun Angst vor dem Unbekannten. Die Furcht vor dem Nichts ersetzte die Furcht vor dem Gottesurteil.

Gegenwart

«In modern  Western  societies, death is often ignored  or feared. Changes in lifestyles and improved medical science have depersonalized death and made it an encroachment on life instead of part of life.  This has left many people ill-equipped to deal with death when it touches their lives.» (San Filippo 2006, 4).

In westlichen Gesellschaften der Gegenwart wird der Tod entweder verdrängt oder gefürchtet. Veränderungen im Lebensstil und eine verbesserte medizinische Wissenschaft haben den Tod entpersonalisiert und ihn zu einem Eingriff in das Leben statt zu einem Teil des Lebens gemacht. Auch in der Gegenwart ist der Tod des Anderen präsent, jedoch in einer etwas abgeänderten Form,  und zwar hat die distanzierte Art der Darstellung zahlreicher Todesfälle in den Medien dazu geführt, dass viele Menschen der falschen Überzeugung sind, dass der Tod nur den Anderen widerfährt. Zudem hat das Individuum, wie im 20. Jahrhundert Angst vor dem Unbekannten, da weder empirische Beweise für noch gegen ein Leben nach dem Tod existieren, weshalb Berichte über Nahtoderfahrungen immer mehr an Bedeutung gewinnen. Durch diese paranormalen Erfahrungen versuchen die Menschen, die Angst vor dem Tod zu überwinden, indem sie wieder Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod schöpfen.

Quellen

  • Ariès, Philippe: Geschichte des Todes, München 1993.
  • Bourke, Joanna:  Fear: A Cultural History. London 2005.
  • Prosperi, Adriano/ Chakravarti, Ananya: In the Shadow of the Gallows: Symptoms, Sensations, Feelings, in: Historical Reflections / Réflexions Historiques 41/2, 2015, S. 6-18.
  • San Filippo, David: Historical Perspectives on Attitudes concerning Death and Dying, Chicago 2006.
  • Stoessel, Ingrid: Scheintod und Todesangst: Äusserungsformen der Angst in ihren geschichtlichen Wandlungen (17.-20. Jahrhundert), Köln 1983.
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