In der aktuellen Diskussion um die Reform des Medizinstudiums wird der Eignungstest für das Medizinstudium (EMS) als Hindernis betrachtet. Politiker plädieren für dessen Aufhebung, um dem Mangel an einheimisch ausgebildeten Ärzten entgegenzuwirken. Doch die Idee, den Eignungstest einfach abzuschaffen, ist ein gefährliches Hirngespinst, das die eigentlichen Herausforderungen im Gesundheitssektor nur verschleiern würde.

Aufnahmekapazitäten der einzelnen Hochschulen für das Medizinstudium, @swissuniversities1

Die Funktion des Numerus Clausus

Numerus Clausus, Eignungstest für das Medizinstudium, EMS, NC, Zulassungsbeschränkung, Aufnahmeprüfung, Zulassungstest: Bei all den vielen Begriffen blickt man gar nicht mehr durch. Was ist was?

Bei einem Numerus Clausus, kurz NC, handelt es sich um eine Zulassungsbeschränkung für eine Hochschule oder einen bestimmten Studiengang. Er kann in Form von Leistungen vorheriger Abschlüsse, oder durch einen Eignungstest durchgeführt werden. In der Schweiz kommt der Eignungstest für das Medizinstudium (EMS) zum Einsatz, wenn die Anmeldezahlen zum Studium der Human-, Zahn- oder Veterinärmedizin im April 20% der Kapazitäten überschreiten. Dies war seit seiner Einführung im Jahr 1998 immer der Fall. Der Numerus Clausus wurde eingeführt, um eine starke Überlastung und den damit folgenden Qualitätsmängel im Medizinstudium entgegenzuwirken. An sich ja eine gute Sache.

Anmeldungen (blau) und Kapazitäten (rot) an den Hochschulen mit Numerus clausus 2014-2023, @swissuniversities2

Politische Argumente und die Realität

Die Gegner des NC wollen ihn abschaffen, um die die Anzahl an einheimisch ausgebildeten Ärzten zu erhöhen. Aktuell kommen über 40% der in der Schweiz tätigen Ärzte vom Ausland. Doch die Vorstellung, dass die Abschaffung des NC den Zugang zu den medizinischen Studiengängen erleichtern wird, ist realitätsfern. Denn der Numerus Clausus schützt vor allem die Masterstudienplätze, welche für die klinische Ausbildung im Medizinstudium von Bedeutung sind. Die Abschaffung des NC wird bezüglich der Anzahl der in der Schweiz ausgebildeten Ärzte nicht viel beitragen.
Der Ärztemangel wird nur dann angegangen, wenn auch die Zahl der verfügbaren Masterplätze erhöht wird. Ansonsten drohen dem Medizinstudium Zustände wie in der Romandie, bei denen einfach in den ersten Studienjahren die Besten zur Weiterführung des Studium zugelassen werden. Andere die auch viel Zeit und Energie investiert haben, stehen dann mit leeren Händen da. Also auch ein Numerus Clausus, aber einfach versetzt.

Die Erhöhung der Masterstudienplätze bedeutet nicht, dass wir mehr einheimisch ausgebildete Ärzte haben werden. Eine Umfrage der Vereinigung der Medizinstudierenden (SWIMSA) zeigt, dass ein Drittel der Medizinstudierenden darüber nachdenkt, ihren Berufswunsch aufzugeben.3 Die überwältigende Arbeitslast und die hohen Belastungen führen dazu, dass viele angehende Ärzte an ihren Zukunftsplänen zweifeln. Während der Vertrag eine 50-Stunden-Woche vorsieht, liegt die Realität oft bei 55 Stunden oder mehr. Strenge Hierarchien im Krankenhaus und die Menge an administrativer Arbeit als Folge einer veralteten und uneinheitlichen technischen Infrastruktur tragen massgeblich dazu bei. Viele junge gut ausgebildete Ärzte geben ihren Beruf auf und lassen sich beruflich umorientieren. Viele Medizinstudierende wollen nicht unter derartigen Arbeitsbedingungen Patienten behandeln. Die Arbeitsbedingungen für Ärzte müssen verbessert werden, um dem Ärztemangel längerfristig entgegenzuwirken.

Soziale Fähigkeiten

Zusätzlich könnte man auch ein Pflichtpraktikum für alle Medizinstudierende einführen, was schon einige Universitäten voraussetzen. Damit könnten Studierende schon früh hautnah erkennen, ob eine Zukunft im Gesundheitswesen das Richtige für sie ist. Das soll aber nicht die verbesserungsbedürftigen Arbeitsbedingungen rechtfertigen.

Eine solche soziale Komponente könnte man auch gut mit dem Eignungstest kombinieren. Kritiker des EMS weisen darauf hin, dass der kognitive Test emotionale Kompetenzen unberücksichtigt lässt. Diese Fähigkeiten sind jedoch im Arztberuf wichtig, insbesondere in der Hausarztmedizin, wo zwischenmenschliche Kommunikation und Empathie unerlässlich sind. Die Präsidentin des Ärzteverbandes FMH, Yvonne Gilli, schlägt daher ein gemischtes Selektionsverfahren vor.4 Nicht nur kognitive Tests, sondern auch die Beurteilung der sozialen und emotionalen Fähigkeiten soll berücksichtigt werden. Ein solches Verfahren könnte helfen, die Medizinstudierenden nicht nur nach ihrer Intelligenz, sondern auch nach ihrer Berufseignung auszuwählen. Doch es ist unklar, ob diese soziale Komponente überhaupt geprüft werden sollte, oder mit welchen Methoden und Gewichtungen. Auch der daraus resultierenden Mehraufwand wird zur Debatte beitragen. Schon jetzt müssen Studienanwärter 300 Franken zahlen, um für den Test überhaupt antreten zu dürfen.

Numerus Clausus nicht das Problem, sondern Symptom

Abschliessend lässt sich sagen, dass die Abschaffung des Numerus Clausus nicht die Lösung für die Herausforderungen mit dem Ärztemangel darstellt. Anstatt in der Illusion der Abschaffung des NC zu verharren, ist es an der Zeit, konkrete Massnahmen zu ergreifen. Die Qualität der medizinischen Ausbildung in der Schweiz muss beibehalten werden, mit gleichzeitiger Erhöhung der Studienplätze. Damit wir aber unsere aufwendig ausgebildete Ärzteschaft auch behalten können, ist eine Reform der Arbeitsbedingungen für die Ärzteschaft unabdingbar. Nur so ist die Schweizer Bevölkerung auch in Zukunft weiterhin gut versorgt.

  1. https://www.swissuniversities.ch/fileadmin/swissuniversities/Dokumente/Lehre/Medizin/230825_Beilage_Medizin_Kapazitaeten_24_25.pdf ↩︎
  2. https://www.swissuniversities.ch/fileadmin/swissuniversities/Dokumente/Lehre/Medizin/2023_Medizin_Zulassung_EMS_Berichterstattung_swu_ZTD_d.pdf ↩︎
  3. https://www.srf.ch/news/schweiz/trotz-aerztemangel-viele-junge-medizinstudierende-denken-ueber-abbruch-nach ↩︎
  4. https://www.srf.ch/news/schweiz/erleichterter-studium-zugang-die-abschaffung-des-numerus-clausus-weckt-gemischte-reaktionen ↩︎

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