Letzten Sonntag ging einmal mehr ein Abstimmungskampf zu Ende. Wer sich geachtet hat, sah Politik überall: Auf Social Media, auf Plakaten an Bahnhöfen oder auch auf Schildern am Strassenrand. Was das angeht, wird national nun ein wenig Ruhe einkehren. Zumindest, bis die heisse Phase für die nächsten Abstimmungen im November ansteht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nun alle Strassenlampen von ihren rechteckigen Kartondekorationen befreit werden. Genauer gesagt im Aargau nicht, dort stehen nämlich Mitte Oktober die Kantonsratswahlen an. Entsprechend sehe ich am Strassenrand tagtäglich viele stets lächelnde Gesichter, die alle auf meine Stimme hoffen.
Vorab soll gesagt sein, dass ich mich für Politik interessiere, von verschiedensten politischen Partizipationsformen Gebrauch mache und auch allen Wahlberechtigten im Aargau wärmstens an Herz lege, ihre Wahlzettel für den 18. Oktober auszufüllen. Doch all die Plakate, auf denen die lächelnden Gesichter aus den schönsten Winkeln abgedruckt sind, kann ich nicht unkommentiert lassen. Fangen wir bei der Vielfalt an. Sie ist gross und kunterbunt, genauso wie die Plakate selbst. Manche entsprechen der Farbe der Partei, welcher der abgebildete Mensch angehört. Andere haben spezifische Hintergründe, um gewisse Botschaften über den oder die Politiker*in zu vermitteln.
Die beste Platzierung
Es gibt sie im Hochformat, Querformat und sogar ein Dreieckiges ist mir schon aufgefallen. Sie hängen Strassenlaternen, stecken in Wiesen, kleben auf offiziellen Plakatwänden oder prangen auf den Screens an Bahnhöfen. Manche sind originell, beispielweise zieren das eine Plakat bei mir in der Nähe sogar noch zwei kleine Aargauerfähnli. Allerdings kann es auch mal zu viel werden, wenn gleich drei Gesichter übereinander an einem Pfosten hängen. Auch wenn gesagt werden muss, dass sich die verschiedenen Parteien, die darauf abgebildet sind, wohl auch nur in dieser Hinsicht so nahe sind. Doch jede und jeder will die besten Plätze für ihre Plakate ergattern. Man(n) oder Frau will gesehen werden und Aufmerksamkeit erregen, denn die Bandbreite der zu Wählenden ist gross, da will selbstverständlich niemand untergehen.
Manchmal kommt es mir beinahe wie eine Kunstausstellung vor, in der jedes Werk darum kämpft, möglichst gut in meiner Erinnerung zu bleiben. Allerdings mit dem Unterschied, dass wir uns freiwillig dazu entscheiden, eine Ausstellung zu besuchen. Die Wahlplakate jedoch, werden ohne uns zu Fragen überall verteilt, da dies einfach die gängige Praxis ist. Dies soll nicht kritisiert werden, doch wie viel die unübersehbare Plakatierung wirklich bringt, finde ich sehr schwer zu beurteilen. Social Media Posts zeigen an, wie viel Reichweite sie haben, Telefonanrufe und persönliche Kontakte können ebenfalls problemlos gezählt werden. Aber die Interaktion mit einem Plakat? Vorausgesetzt natürlich, es findet überhaupt eine Interaktion statt. Bei der ganzen Menge an lächelnden Gesichter, kann man als Betrachterin auch sehr schnell blind dafür werden. Die Plakate werden zwar noch als solche wahrgenommen, doch wer gerade am Pfosten gelächelt hat, an dem ich eben vorbeigegangen bin, könnte ich im Nachhinein nicht mehr sagen.
Plakatflut oder gar Verfolgungsjagd
Dass die Plakate ans Wählen generell erinnern, kann durchaus sein und ist meiner Meinung nach ein positiver Effekt. Allerdings ist dieser «friendly reminder» vielleicht ein oder zweimal wirksam. Danach hat er seinen Zweck getan, doch dadurch gehen die Plakate nicht weg und begleiten uns noch einige Tage oder Wochen bis zum Wahltag und oftmals sogar darüber hinaus. Und sind wir ehrlich, die Aussenwelt scheint praktisch volltapeziert zu sein. Vielleicht ist es etwas überspitzt, doch das Ganze ähnelt auch ein wenig einer Verfolgungsjagd. Anzugtragende, mit karierten Hemden Posierende oder sich in Alltagskleidung leger und volksnah gebende Politikerinnen und Politiker jagen dir metaphorisch hinterher und rufen dir stumm nach: «Wähl mich, wähl mich!» Und während das Offline-Leben meist ein Rückzugsort vor der Informationsflut des Internets ist, so trifft dies in diesem Fall nicht zu, da es in der Aussenwelt gleich weiter geht. Allerdings werden wir nicht von Informationen, sondern Kartongesichtern überflutet.
Doch allzu übel dürfen wir es der Politik nicht nehmen. Jeder der lächelnden Interessevertreter auf den Kartons will schliesslich aus ihrer oder seiner Sicht nur das beste für den Kanton. Wie sehr sich dieses «Beste» mit deiner Vorstellung des Besten deckt, ist natürlich immer relativ. Fest steht jedoch, dass mir diese grosszügige Plakatierung, so gut sie auch gemeint ist, dann doch manchmal etwas zu viel des Guten werden kann.