Wie viel Sinn macht die Masseneinwanderungsinitiative vom Februar 2014 und was sind die nächsten
Schritte nach dem «JA» vor drei Jahren? Ein Interview mit dem Solothurner Stadtpräsidenten Kurt Fluri.

«Dieser Zug ist abgefahren», meint der 62-jährige Solothurner Statpräsident Kurt Fluri lächelnd auf die Frage, ob das Amt zum Bundesrat nicht doch noch eine Schiene für die Zukunft wäre. «Ich glaube nicht, dass die Chance besteht, sich einen schon fast 70-jährigen Bundesrat einzuhandeln», ergänzt er weiter. Die Miene des Stadtpräsidenten wird jedoch bereits bei der ersten Frage zur Masseneinwanderungsinitiative (MEI) ernster.

Herr Fluri, wie stehen Sie persönlich zur MEI? Ist sie notwendig?
«Seiner Zeit habe ich die Initiative abgelehnt. Das Problem der Überbevölkerung ist aus mitteleuropäischer Sicht nicht abzustreiten, dies ist an der überlasteten Infrastruktur, dem starken Verkehr und der Wohnungssituation gut erkennbar. Ich bin mir zudem auch bewusst, dass es aus den genannten Gründen nicht möglich ist, auch in Zukunft jedes Jahr 80’000 Menschen in der Schweiz aufzunehmen. Andererseits ist die Schweiz wirtschaftlich von der Europäischen Union abhängig, was für mich auch ein wichtiger Faktor war, nein zu stimmen. Das Problem bei der Umsetzung der MEI ist, dass die Initianten sich nicht bewusst sind, welche Konzepte bei einer Umsetzung über den Haufen geworfen werden. Schlussendlich gilt jetzt aber, die Abstimmung umzusetzen, wobei eben vieles beachtet werden muss.»

Momentan leben über zwei Millionen Migranten/Migrantinnen in der Schweiz, die Hälfte aus der EU.
Was sagen Sie zu dieser Zahl?
«Es ist eine Zahl, die man sicherlich im Auge behalten muss. Schmunzeln muss man über eine Initiative in den 70er Jahren, als die Obergrenze von 18% Ausländeranteil festgelegt werden sollte. Heute sind es 25%. Dazu ist zu beachten, dass bei diesen Prozentzahlen die Asylbewerber nicht dabei sind. Die meisten AusländerInnen sind bei uns in der Schweiz sehr gut integriert, sie fallen weder auf, noch hört man ihnen an der Sprache an, dass sie von irgendwo anders kommen. Auffällig sind die, die den ganzen Tag  herum hängen. Es gibt aber auch Schweizer/-innen, die so ihre Zeit totschlagen. So oder so sind es aber nur Wenige, die so auffallen. Was ich damit sagen will ist, dass man beim Begriff «Ausländer» immer direkt an die denkt, die mehr auffallen, direkt an das Negative. Daher muss man diese Zahl ein wenig relativieren.

Auch wenn ein ausländischer Mitbürger ein Verbrechen begeht, ergibt dies automatisch grössere Schlagzeilen, als wenn ein Schweizer das gleiche Verbrechen begeht. Dies führt dann auch bei anderen Abstimmungen zu aufgeregter Stimmung, wie bei der Initiative gegen die Burka.»

Was denken Sie selbst über ein Burkaverbot?
«Kurz gesagt, ist diese Initiative aus meiner Sichtweise ein völliger Blödsinn. Ich sehe kein einziges Argument für ein solches Verbot. Beispielsweise beim Argument, die muslimischen Frauen würden dabei unterdrückt. Wir wissen ja nicht, wie sich diese Frauen dabei wirklich fühlen. Es kommt mir vor, als würde unser Volk damit eine Art Kolonialisierung anstreben, was der Vielfältigkeit garantiert nicht gut tut. Schliesslich ist die Schweiz ein freies Land und kein Staat, der der ausländischen Bevölkerung vorschreibt, was sie zu tun hat.»

Sie haben den Vorschlag für die leichte Umsetzung der MEI, den «Inländervorranges-light», gemacht. Wie sieht dieser Vorschlag genau aus?
«Jede freie Stelle wird der RAV (regionale Arbeitsvermittlungsstelle) gemeldet. Dort wird dieser Inländervorrang-light umgesetzt. Die RAV schickt den Arbeitgebern, die solche freie Stellen haben, die Dossiers der geeigneten Arbeitssuchenden zu. Der Arbeitgeber hat eine bestimmte Zeit, passende Kandidaten auszusuchen. Dem Arbeitgeber obliegt dann die Wahl, zu entscheiden, wer und ob überhaupt jemand für die betreffende Stelle passt. Erst wenn niemand von den eingegangenen Dossiers den Anforderungen entspricht, darf sich der Arbeitgeber für einen ausländischen Bewerber entscheiden. Die Bewerbungen der AusländerInnen befinden sich also sozusagen in einer Warteschlaufe. Durch diese Methode erhofft man sich mehrere 1000 neue Stellen für InländerInnen. Mit der EU wurde dies schon besprochen, auch sie findet das legitim und es wäre keine Diskriminierung, Inländern den Vorrang zu geben.»

Wie sieht der der bürokratische Aufwand dieses «Inländervorrangs-light» aus?
«Der ist sicherlich nicht klein. Das Ausscheiden und Hin- und Herschicken der Dossiers von der RAV zum Arbeitgeber nimmt auch viel Zeit in Anspruch. Allerdings hätte die ursprüngliche Variante der Initiative wesentlich mehr Bürokratie bewirkt.»

Sie und Ihre Partei, die FDP, werden für diese leichte Umsetzung von rechts, wie aber auch von der Mitte stark kritisiert. Was sagen Sie dazu?
«Ich sage diesen Leuten, sie sollten doch die ganze Bundesverfassung lesen. Beispielsweise den Artikel 5, Absatz 4, oder daran denken, dass das Volk in der Vergangenheit sechs Mal «JA» zu den bilateralen Verträgen gesagt hat. Ausserdem wird laut zuverlässigen Prognosen die Einwanderung in der Zukunft abnehmen, dies aufgrund der Verbesserung der Situation im Heimatland oder der unfreundlichen Stimmung gegenüber Ausländern in der Schweiz.»

Vor kurzem erschien ein Bericht, dass Asylbewerber auch Ferien erhalten und viele dann für ein paar Tage zurück in ihr Heimatland reisen. Wie sehen dabei die Sicherheitsvorkehrungen aus?
«Das sind sehr wenige Asylbewerber, die dies tun. Für kurze Ausreisen müssen sie ein Gesuch stellen. Damit riskieren die Asylbewerbenden aber auch, dass das Asylverfahren unter Umständen abgebrochen wird. Auch wird kontrolliert, in welche Länder diese Menschen reisen. Da sind unter anderem Länder dabei, die Regionen beinhalten, die so gross sind, wie die Schweiz. Herrscht in solchen Ländern Bürgerkrieg, bedeutet das nicht, dass alle Regionen des Landes vom Krieg betroffen sind. Selbstverständlich kann es nicht sein, dass ein Mensch, der aus einer umkämpften Region geflohen ist, dorthin in die Ferien reist. In einem solchen Fall würde das Asylverfahren abgebrochen. Das SEM weiss sehr gut und beobachtet stark, in welchen Regionen kritische Lagen herrschen, dahinter stecken sehr gut ausgebildete Fachmänner/Fachfrauen.»

Könnte ein Asylbewerber denn nicht einfach in ein friedliches Gebiet reisen und dann von dort aus in das kritische Gebiet gehen?
«Doch, das ist das Risiko. Es ist hingegen so, dass die Asylbewerber nicht in die Ferien reisen dürfen, im Sinne von am Strand liegen. Es kann ja aber sein, dass beispielsweise ein Angehöriger stirbt und man an der Beerdigung teilnehmen möchte, was durchaus vertretbar wäre. Eine Reise über beispielsweise Frankreich in eine umkämpfte Region ist auszuschliessen. Dafür ist die Sicherheitskontrolle zu stark.»

Wie fassen Sie die Veränderungen zur früheren Zeit auf betreffs des Verhaltens der ausländischen Bevölkerung und der Akzeptanz der schweizerischen Bevölkerung?
«Der Unterschied zu ganz früher ist aus meiner Sicht der, dass der Begriff «Asylbewerber»  eher negativ ausfällt. Man sieht es immer, wenn das Vorhaben besteht, ein neues Asylzentrum zu errichten, jetzt beispielsweise in Flumenthal. Manche Anwohner behaupten, man könne nachts nicht mehr raus oder man müsse Alarmanlagen an den Häusern montieren. Ich sage immer, diese Leute haben immer noch das Bild von den Kosovo-Albanern im Kopf. Zur Zeit des Kosovokrieges in den 90er Jahren flüchteten viele Menschen aus dem Kosovo in die Schweiz mit der Mentalität, die Dinge mit Gewalt zu klären, statt mit dem Recht, was mit den schwierigen Erlebnissen während des Konflikts zu tun hat. Dies wirft halt auch noch bis heute ein negatives Bild auf die Asylbewerber.
Hingegen ist diese Zeit vorbei und die heutigen Flüchtlinge aus Eritrea, Afghanistan, Niger, usw., haben keine höhere Kriminalitätsrate. Aber die Angst gegenüber den Ausländern ist seit der Jahrtausendwende erheblich gestiegen, so wie ich das beobachte.»

Vielen Dank Herr Fluri für das interessante Gespräch.

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