Vor rund einer Woche kam der Alltag in der Schweiz zum Stillstand. Wo zuvor zahlreiche Menschen ein und aus gingen, Orte die für begnadete Sportler*innen Ort des Begehrens waren und Pärke, die in der Frühlingssonne meist zum Ort für üppige Picknicke mutierten, sind wie ausgestorben. Die Strassen sind leer. Vereinzelt sieht man Einzelpersonen oder Pärchen spazieren, mit angemessenen Abstand zu Wegkreuzern. Auf ein Schwätzchen wird verzichtet, zu gross das Risiko sich anzustecken. Das Covid-19 Virus ist omnipräsent.

Seit Jahrzehnten gab es kein Problem, das die Welt in Atem hielt und den geregelten Arbeitsalltag so mächtig aus den Fugen warf. Worüber vor einigen Wochen noch einige Witze machten und scherzhaft laut im Zug husteten, damit sie ein Viererabteil für sich alleine hatten, wird heute eine pingelig genaue Statistik geführt. Täglich tickert der SRF-Ticker. Letzte Woche noch waren es 2’000 Infizierte. Gestern knackten wir die 10’000 Grenze, von der vermutlich dreimal so grossen Dunkelziffer abgesehen. Das Coronavirus hat unseren Alltag im Griff. Es schleicht sich in jegliche Konversation, positive Gedanken werden vom Unbehagen des Virus beiseitegeschoben. Kein Wunder, denn unter den gegenwärtigen Sicherheitsumständen ist es schwierig, sich Normalität einzubilden. Homeoffice. Virtueller Unterricht. Sport neben dem Bett. Yoga auf dem Bett. Joggen in der Migros. Vom Brot, zum Gemüse, Gefrierabteilung, zurück zum Brot.

Aber Spass beiseite. Die Einbussen sind gross. #Staythefuckhome heisst es in den Sozialen Medien. Derweilen wächst in mir das schlechte Gewissen, weil ich trotz Corona übers Wochenende nach Hause fahre. Einmal quer durch die Schweiz, mit den Zugverbindungen, die die SBB derweilen noch anbietet. Aber wer weiss wie lange, denn selbst die verbliebenen Waggons sind beinahe menschenleer.

Wir müssen verzichten lernen

Wann musstest du das letzte Mal tatsächlich auf etwas verzichten? Ohne, dass es sich auf den nächsten Tag verschieben liess? Es lässt sich kaum leugnen, dass sich unsere Generation beinahe alles leisten kann. Wir fahren mit dem horrend teuren GA mehrere Male quer durch die Schweiz. Wir gönnen uns vier Mal die Woche einen Drink in der hippen Bar um die Ecke. Dann essen wir ein pochiertes Ei auf einem Avocadobrot. Am Wochenende gehen wir bouldern, Trendsport eben und wenn es genug Schnee hat noch auf die Piste, ohne dabei das ausgiebige Après-Ski zu vergessen.

Folge von Hamsterkäufen: Auf einmal muss man persönliche Lieblingsesswaren verzichten und uns den Gegebenheiten anpassen. Können wir das?

Verzicht ist für die meisten von uns, die es sich leisten können, ein Fremdwort. Seit den 60ern geht es bergauf. Mehr Wohlstand. Bessere Wohlfahrt. Wofür unsere Grosseltern noch Märklis brauchten, gehen wir hamsterkaufen. Studenten Ausgang am Donnerstagabend gab es nicht, Pizza kannte man nur aus dem Fernsehen. Spätestens seit die Generation Internet selbstständig ist, ist selbst Studieren eine Selbstverständlichkeit und Fliegen wird ohnehin – abgesehen von Klimastreikenden – als alltägliches Fortbewegungsmittel angesehen.

Mit den ergriffenen Massnahmen hat der Bund das Wort «Verzicht» gross geschrieben und das Sozialleben auf ein kleines Minimum von max. 5 Personen beschränkt.

Zwischen Solidarität und Egoismus

Durch das Corona Virus wurden alltägliche Strukturen mit einem Mal zerschlagen. Selbstverständliches scheint auf einmal nicht mehr so selbstverständlich. Die Flucht in die digitalen Medien steigert die Nutzungsdauer von Instagram & Co. Virtuelle Freundschaften erleben eine neue Blüte. Instagram Challenges, vom posten alter Babyfotos und positiven Gedanken gibt es die ganze Bandbreite. Kreative Köpfe akzeptieren die Situation mit Humor, halten unsere Generation laufend vor dem Bildschirm. Währenddessen engagieren sich zahlreiche Menschen im realen Leben. Vernetzt über Facebook und die App Fiverr unterstützen meist junge Student*innen Personen, die der Risikogruppe angehören. Einkaufen, Gassi gehen, zum Arzt fahren, Fahrrad ausleihen u. v. m. Weitgehende Solidarität erstreckt sich um den ganzen Globus. Gleichzeitig zeigt sich nun im Schatten der Krise ein zweites Gesicht einiger Mitbürger*innen. Hamsterkäufe sind nur ein Beispiel eines egoistischen Verhaltens. Einige scheinen den Ernst der Lage noch nicht begriffen zu haben und ärgern sich über Bund und EU über deren Bestimmungen.

Einmal mehr zeigt sich, wie verletzlich die Menschheit ist. Daraufhin meint auch Thomas Straubhaar, Professor für Volkswirtschaft, in einem Interview in der NZZ am Sonntag. «Wir müssen [die Gesellschaft] in ganz vielen Bereichen nachhaltiger ausrichten.» Auch er spricht dabei insbesondere die Selbstverständlichkeit an.

«Zu lange waren Klimawandel, Ressourcenknappheit, die weltweite Ungleichheit, Massenmigration, innere und äussere Sicherheit oder auch die Verletzlichkeit unserer Wirtschaft Randthemen. Jetzt kommen wir nicht mehr darum herum, das Thema Nachhaltigkeit in all seinen Dimensionen anzugehen.»

Corona als Startschuss für eine nachhaltige Zukunft

Ich verzichte nicht gerne. Mein Wochenende sieht karg aus, wenn ich es mit jenen zu Beginn des Jahres vergleiche. Trotzdem erkenne ich im gegenwärtigen «Verzicht» eine nachhaltige Chance für die gesamte Menschheit. Vielleicht kam Covid-19 gerade rechtzeitig. Vielleicht führen wir uns nun endlich vor Augen, welche Aspekte im Leben tatsächlich wichtig sind. Ausgeprägtes Sozialleben. Solidarität. Wie stark ein Leben in Isolation uns die eigenen Bedürfnisse bewusst macht. Ein Virus macht nicht Halt vor Landesgrenzen, dies ist nun allen Menschen klar. Auch Klimawandel, Massenmigration und soziale Ungleichheit sind globale Themen, nur hat es bisher bloss das Coronavirus geschafft in beinahe allen Staaten mit erster Priorität behandelt zu werden. Die einen mögen ab meiner unpopulären Meinung die Augen verdrehen. Am Ende sehe ich trotz allem in Covid-19 einen möglichen Startschuss für eine nachhaltige Zukunft. Tendenziell werden wir uns nach der «ausserordentlichen Situation» schlagartig wieder an unsere altbekannten Strukturen erinnern. Wissenschaft, Politik und insbesondere die weltweit geknickte Wirtschaft werden sich noch eine Weile mit den Folgen des Virus beschäftigen.

#StayTheFuckHome

Trotz der strengen Regeln, geschlossenen Geschäften und eingeschränktem Alltag, versuchte ich mir durch das Pendeln am Wochenende etwas Routine und Abwechslung einzubilden. Ein Trugschluss beim Blick auf die steigende Zahl der Corona-Opfer. Was sich mein Ego zurückwünschte, werde ich in Zukunft sein lassen. Verzicht fällt mir schwerer, als ich zunächst dachte. Aber Verzicht eröffnet auch die Sicht auf neue Hobbys und Tätigkeiten, die in den vergangen Stress geprägten Tagen liegen geblieben sind.

Was beispielsweise Leseratten nun endlich tun können, findest du hier.

Bis zum Ende der empfohlenen Quarantäne, wünsche ich allen weiterhin gute Gesundheit und bitte euch zudem, nicht nur auf eure körperliche aber auch seelische Verfassung zu achten. #StayTheFuckHome ausser Euch fällt wie mir von Zeit zu Zeit das Dach auf den Kopf, dann macht das Ihr – mit Sicherheitsabstand zu anderen Personen – rauskommt.

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