Das Buch «Der Held» von Karl Rühmann beginnt mit der faszinierenden Beschreibung eines Flugzeuges. Wie es durch die Luft fliegt, schliesslich landet und seine Passagiere entlässt. Alles ist mit einer unglaublichen Liebe zum Detail geschrieben, die direkt ein Bild im Kopf hinterlässt und einen in die Geschichte eintauchen lassen möchte. So gut, wie die Sprache im Prolog funktioniert, so zieht sich dieser Schreibstil durch das ganze Buch und verliert zu keiner Zeit den Faden.

Dieser Mann steckt hinter der ganzen Geschichte

Karl Rühmann, Schriftsteller, Lektor und Übersetzer, der in Jugoslawien und in den USA aufwuchs, lebt heute in Zürich. Er schreibt Bücher für Kinder und Erwachsene und nach «Glasmurmeln», der ebenfalls einen Preis gewann, ist «Der Held» nun sein neuestes Werk, das prompt für den Schweizer Buchpreis nominiert wurde. 

Doch um was geht es überhaupt?

Der General ist ein alter Kriegsveteran, der lange Zeit im Gefängnis war, aufgrund seiner Rolle, die er im Krieg gespielt hat. Nun wird er endlich entlassen und kehrt als Kriegsheld in seinen Heimatort zurück. Er lebt sehr zurückgezogen und lehnt jegliche Anerkennung seiner Person ab. Zu seinem Schutz werden jedoch zwei Polizisten abgestellt, was darauf schliessen lässt, dass vielleicht doch nicht alle Bewohner mit der Freilassung des Generals einverstanden sind. Der General hegt eine tiefe Faszination für Bienen, die er fast schon philosophisch betrachtet und seine einzige Bezugsperson ist in der ersten Zeit sein alter Gegner und Gefängnisgenosse, der Oberst, zu dem er einen regen Briefwechsel unterhält. Die zweite wichtige Person tritt etwas später in sein Leben. Anna, die mit ihrem Sohn in der Nähe wohnt und deren Mann sich das Leben genommen hat. Sie weiss, dass er unter dem General im Krieg gedient hat und besucht diesen nun in der Hoffnung, einige ihrer unzähligen Fragen beantworten zu können, die nicht nur sie, sondern auch ihren Sohn tief beschäftigen. Der General stellt sie als seine Haushälterin an. Er schätzt ihre Gesellschaft und zwischen den beiden entwickelt sich ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Der General gibt sich grosse Mühe, sie mit Witzen und kleinen Geschichten zum Lachen zu bringen, doch trotz allem spricht er nie mit Anna darüber, was damals im Krieg geschehen ist. Nur mit dem Oberst schreibt er darüber, da dieser ihn versteht, weil sie damals beide in einer ähnlichen Lage waren und jeder eine schwierige Entscheidung treffen mussten. Anna beginnt deshalb, selber Nachforschungen im Haus des Generals anzustellen und findet schliesslich die Briefe zwischen dem Oberst und dem General.

Der Roman ist aus drei Sichten geschrieben und fühlt sich beim Lesen ein bisschen an wie ein Briefroman.

Zwar schreibt Anna, im Gegensatz zu den beiden Männern, keine Briefe, doch sie erzählt all ihre Erlebnisse und Gedanken in Gedanken ihrem verstorbenen Mann. Es könnte hier also genau so gut ein einseitiger Briefwechsel stattfinden. Diese Briefwechsel, oder wie bei Anna, einseitigen Berichte, tragen die Geschichte sehr gut und sind durch die verschiedenen Ansichten und Gedankengänge spannend zu lesen.
Im Buch spielt die Frage nach Schuld und Unschuld eine sehr grosse Rolle. Diese wird besonders durch den Oberst in die Geschichte gebracht. Schliesslich bilden er und der General einen starken Kontrast zueinander. Sie wurden beide eins Kriegsverbrechens angeklagt, doch anders als der Oberst, der wohl sein restliches Leben hinter Gittern verbringen wird, wurde der General freigesprochen. Es überrascht also nicht, dass manchmal eine Anklage zwischen den Zeilen seiner Briefe steht und er den General zuweilen mit seinen kritischen Äusserungen zum Nachdenken und Reflektieren bringen. Er ist aber auch derjenige, der den General versteht und der Einzige, dem dieser sich anvertrauen kann. All die kleinen Geschichten und Witze, mit denen der General Anna aufheitert, kommen übrigens auch vom Oberst. Der General wurde zwar aus dem Gefängnis entlassen, doch wirklich frei wird er wohl auch nie sein, da er sich selbst Vorwürfe seiner Handlungen wegen macht, obwohl er die Gedanken daran verdrängt. Ausserdem hat er ein schlechtes Gewissen dem Oberst gegenüber, den er längst nicht mehr als Feind betrachtet.

Bild: karl-ruehmann.com

Eine ganz andere Dynamik bringt Anna in das Leben des Generals. Seit dem Tod ihres Mannes hat sie mit vielen Fragen zu kämpfen, wie es zu seinem Tod gekommen ist und macht sich Vorwürfe, keine gute Mutter für ihren Sohn zu sein, da er sich verändert hat. So bemerkt sie zum Beispiel, dass er kaum noch lacht. Der General gibt sich immer grosse Mühe, sie zum Lachen zu bringen und schreibt auch dem Oberst von ihr, wobei man sieht, dass sie ihm etwas bedeutet. Doch Anna merkt schnell, dass mehr hinter der Fassade vom General steckt, über das er nicht reden möchte. Sie kann nicht nachvollziehen, wie der General mit dem Oberst, dem «Feind», befreundet sein kann, dabei ist es gerade er, der den General drängt, ihr alles zu erzählen.

Doch mehr möchte ich an dieser Stelle nicht verraten, denn das müsst ihr selber lesen.

Wer also ein Buch lesen möchte, das mit einer differenzierten und zu keinem Moment aufdringlichen Erzählweise zum Nachdenken anregt und die eine oder andere kleine philosophische Betrachtung in sich birgt, der oder die sollte diesem Buch unbedingt mal eine Chance geben.
Es lohnt sich!

Bildquellen

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  • Der Held: Montage: karl-ruehmann.com (Buch), pixabay.com (Hintergrund)
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