Keine Krankheit, keine Behinderung , nichts schlechtes – einfach eine noch eher unbekannte und unterschätze Charaktereigenschaft. Genauer gesagt eine Charaktereigenschaft, über die mehr Menschen verfügen, als man zunächst denken würde. Auch mir wurde es erst vor kurzem bewusst, dass ich mich damit in vielen Punkten identifizieren kann. Bei dem Begriff «Hochsensibilität» denken die meisten an emotionale, oft weinende oder einfach introvertierte Menschen. Das ist so allerdings nicht ganz korrekt. Was es bedeutet, hochsensibel zu sein, möchte ich in diesem Artikel mal etwas genauer erklären und vielleicht kann sich der eine oder andere danach auch damit identifizieren und sich selber besser verstehen.
Starten wir mit einem Beispiel…
Eine Person steigt in einen Zug, setzt sich auf einen freien Platz, nimmt ihr Buch und fängt an zu lesen. Eine nicht hochsensible Person macht das einfach, genau so.
Für eine hochsensible Person ist bereits die Platzwahl eine erste Herausforderung. Nachdem sie sich hingesetzt hat, folgt eine Reizüberflutung. Sie nimmt die Gespräche von anderen Personen wahr, jegliche Geräusche, optische Eindrücke und Gefühle von anderen Menschen. All diese Reize, kann sie nicht ausblenden, daher ist es schwierig sich auf etwas wie ein Buch zu konzentrieren. Es entsteht ein innerer Stress.
Was macht den Unterschied aus?
Reizüberflutung – das definiert die Hochsensibilität ziemlich genau. Das Nervensystem von hochsensiblen Menschen ist um einiges Reizempfänglicher. Dadurch nehmen sie alles um sich herum deutlicher und intensiver wahr. Dabei geht es vor allem um Geräusche, Gerüche, Gedanken sowie um Gefühle. Dies führt je nach Situation auch zu Überforderung oder sogar einer Überreizung. Hochsensible neigen auch oft dazu, Situationen, Gespräche oder mögliche Reaktionen zu überdenken und sich viel zu viele Sorgen zu machen. Bevor betroffenen Personen bewusst wird, dass sie zu den hochsensiblen Menschen unter uns gehören, denken auch viele, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Es ist ein bedrückendes Gefühl, sich über etwas Gedanken und Sorgen zu machen, wofür andere nicht mal einen Gedanken verlieren würden. Viele stossen auch in ihrem Umfeld auf Unverständnis, gerade weil sie zu viel Nachdenken und dadurch vielleicht überreagieren. Dabei können sie da nichts für, es sind Gedanken, die man einfach nicht ausschalten kann.
Ist das jetzt negativ oder positiv?
Es gibt definitiv zwei Seiten. Durch dieses ganz genaue und sensible Empfinden sind diese Menschen mit einer ganz besonderen Empathie gesegnet. Dadurch verstehen sie ihre Mitmenschen besser und können einfühlsamer auf sie eingehen. Sie merken oft schon vorher, wie es einer Person geht, bevor sie überhaupt etwas darüber gesagt hat. Weiterhin haben viele die Fähigkeit, Probleme aus ganz verschiedenen Perspektiven zu betrachten und so auch zu schnellen Lösungen zu kommen. Sie sind automatisch aufmerksamer und erkennen Veränderungen und Besonderheiten in ihrer Umgebung schneller. Hinzu kommen eine hohe Begeisterungsfähigkeit, Eigenverantwortung sowie ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn.
Nachteile sind dabei, dass laute und stressige Situationen für Hochsensible eher als anstrengend empfunden werden, wodurch sie häufiger Ruhepausen benötigen als andere Menschen. Durch diese verstärkte Empfindlichkeit sind sie auch etwas anfälliger für psychische Krankheiten. Sie haben oft Schwierigkeiten im Umgang mit Stress und Leistungsdruck und neigen zu Perfektionismus. Auffällig ist auch noch, dass hochsensible Menschen tatsächlich empfindlicher auf Schmerzreize reagieren, als andere Menschen.
Es handelt sich bei Hochsensibilität aber definitiv nicht um eine Krankheit. Es ist eine Charaktereigenschaft, derer man sich erst einmal bewusst werden muss, ehe man sich selbst versteht.
Bin ich hochsensibel?
Das fragen sich jetzt bestimmt einige von euch, die diesen Beitrag lesen. Hochsensibilität äussert sich bei jedem anders, jeder reagiert individuell und anders auf Situationen. Man kann sich mit den folgenden Fragen mal Gedanken darüber machen, ob das eine oder andere auch sich selbst zu trifft.
- Achtest du in der Öffentlichkeit unbewusst auf deine Umgebung? Und fallen dir vielleicht Dinge auf, die deine Mitmenschen gar nicht wahrnehmen?
- Spürst du die Gefühlslagen deiner Mitmenschen? Beeinflusst die Stimmung anderer sogar deine eigenen Gefühle?
- Bist du sehr leistungsorientiert und neigst du zu Perfektionismus?
- Beschreibt dich dein Umfeld eher als schüchtern und ruhig?
- Können Reize wie sehr grelles Licht, laute Geräusche oder intensive Gerüche überfordern oder stressen?
Dies sind nur einige Fragen, über die du dir mal Gedanken machen kannst. Kommt bei dir der Verdacht auf, dass auch du hochsensibel sein könntest, dann gibt es im Internet viele Selbsttests die man für sich selbst machen kann. Mir selbst wurde es auch erst wirklich bewusst, als ich per Zufall einen Zeitungsartikel darüber gelesen habe und mich anschliessend darüber informiert habe. Dadurch habe ich viele meine Angewohnheiten und meiner Charaktereigenschaften erst richtig verstanden. Meiner Meinung nach ist Hochsensibilität eine Eigenschaft auf die man stolz sein kann. Man kann sie begreifen und lernen damit umzugehen.