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Rina Frischknecht

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Immer wieder wird betont, wie wichtig der erste Eindruck ist. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass unsere spontanen Urteile über eine Person oft vorschnell sind und nicht mit der Realität übereinstimmen. Es gibt eine rasche, automatische Reaktion, in der wir Menschen inspizieren und in eine Schublade stecken. Und ebenso die Erkenntnis, dass diese Urteile der anderen Person nicht gerecht werden.

Seit Anbeginn des menschlichen Lebens waren Drogen Teil unzähliger Kulturen. So gibt es bereits aus der neolithischen Epoche (6000 – 2000 v. Chr.) Funde von Wein- und Bierkrügen und der Opium-Anbau begann ebenfalls 6000 v. Chr. rund ums Mittelmeer. Der Evolutionsforscher Josef Reichholf geht sogar so weit, dass er sagt, der Mensch sei nur sesshaft geworden, um den Getreideanbau zu erlernen und Bier zu brauen.

Vertrauen wir anders als Kinder? Besteht unser Glaube an die Welt, wenn wir ihre Gräueltaten noch nicht erblickt haben? Und wenn wir das Elend gesehen haben, haben wir dann keine andere Wahl, als verbittert und voller Kontrollzwang zu sein? Stimmt jeder am Ende seines langen Lebens Wladimir Iljitsch Lenin zu, der den Ausdruck „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ prägte?
Das Vertrauen in andere – und vielleicht auch in sich selbst – scheint mit den Lebensjahren zu schwinden. Ist es eine Gesetzmässigkeit des Vertrauens, dass es immer nur kleiner werden kann, oder gibt es Ereignisse, die es wachsen lassen können?

Der Turm der Wahrheit

Bedrohlich und dunkel steht der Turm in der späten Abendsonne auf dem Hügel. Krähen kreischen und die Blätter rauschen im Wind, als würden sie etwas Unheilvolles vorhersagen. Der junge Mann steht am Fusse des kleinen Berges und schaut mit durchdringendem Blick hinauf. Er hat keine Angst. Noch nicht. Stattdessen spürt er, wie das Adrenalin durch seine Adern strömt, sein Herz pocht wild und seine Füsse würden am liebsten gleich die Anhöhe emporspringen, doch er muss warten. Die Zeit ist noch nicht soweit. Sie ist noch nicht soweit.

Es ist Morgen. Die Vögel zwitschern und die ersten Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch das dicke Blätterdach der Eichen. Wenn man lange genug wartet und sich nicht bewegt, ist es manchmal sogar möglich, ein Reh oder ein Fuchs zu sehen. Wie auch heute. Dem Mädchen, das den Pfad zum Turm bereits in- und auswendig kennt, huscht ein Lächeln über das Gesicht, als sie das majestätische Tier so nahe vor sich sieht. Für einen kurzen Moment schauen sich die beiden an, doch nur Sekunden später ist das Reh wieder im Dickicht verschwunden. Oft wurde sie von ihrer Grossmutter mit einem Reh verglichen: Scheu mit grossen Augen, und wartet man nur lange genug und kommt man ihm nicht zu nahe, erwartet einem vielleicht sogar die Gunst seiner Freundschaft. Doch schon nur eine falsche Bewegung nach stundenlangem Anpirschen kann den Annäherungsversuch zunichte machen und man findet sich wieder am Anfang.
Der Pfad zum Turm ist lang. Immer dichter werden die Bäume, immer lauter die Vögel und obwohl sie sich jedes Mal auf den Anblick freut, beginnt sie, dieses bedrängende Gefühl im Hals zu spüren. Sie hat Angst vor der Wahrheit. Was sie im Turm erwartet, weiss sie nicht. Sie ist oft dort und betrachtet ihn, doch betreten hat sie das alte Gebäude noch nie. Es sind nur noch wenige Schritte, die sie zu gehen hat, um ihn zu sehen. Ihr Herz hämmert in der Brust, sie spürt den Schweiss auf ihrer Stirn. Ob sie Angst oder Vorfreude oder gar beides verspürt, weiss sie nicht. Wie jedes Mal, wenn der steinerne Turm in ihrem Blickfeld erscheint, stockt ihr der Atem. Unberührt und wie ein Fels in der Brandung steht der Turm von hohen Mauern, die beinahe so hoch sind wie der Turm selbst, umgeben auf einem Hügel, der mit sattem Gras bewachsen ist. Dunkelgrüner Efeu hat sich über Jahre hinweg, wie eine Schlange, die nicht mehr loslässt, um den Stein geschlungen. An den in den Schatten liegenden Teilen des Turms wächst Moos und durch das Fehlen von einigen Bausteinen schimmert das Licht der Sonne durch. Wie alt der Turm ist, weiss sie nicht, aber dass er Geheimnisse hütet, die älter sind, als sie sich vorstellen kann, spürt sie. Es geht eine Präsenz von ihm aus, die ihr Atem innehalten lässt, doch was sie ebenfalls wahrnimmt, sind Gefühle von Bedrohung und Angst. Vor was sie sich fürchtet, weiss sie nicht, doch einen Blick hinein würde alles verändern, dem ist sie sich sicher. In diesem alten Turm, der sie fasziniert und sie trotzdem einschüchtert, wird sie eine Wahrheit finden, deren Bedeutung ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen würde. Unschlüssig steht sie noch immer vor dem Hügel. Wer winkt dort oben auf dem Turm? Die Erlösung oder die Verdammnis?
Plötzlich ist ihr die Antwort auf diese Frage egal. Was sie erwartet, kann sie nicht ändern, doch sie kann selbst entscheiden, wie sie damit umgehen wird. Fest entschlossen, mit dem Turm stets als Ziel im Blick, beginnt sie, die Anhöhe zu besteigen. Sie hat keine Angst. Nicht mehr. Und vielleicht wird sie irgendwann sogar den Mut haben, anderen ihren Turm zu zeigen. Vielleicht wird er irgendwann die Möglichkeit haben, ihre Festung zu betreten und ihre tiefsten Ängste, Sehnsüchte und Träume kennenzulernen. Ehrfurchtsvoll öffnet sie das eiserne Tor zum Garten. Sie lächelt: Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

Ich glaube, wir alle haben einen solchen Turm. Für jeden sieht er anders aus, doch sie alle werden von unseren eigenen, individuellen Engeln und Dämonen bewohnt. Dass nicht jede Begegnung und jede Erkenntnis, die wir im Inneren des Gedankenpalastes antreffen, angenehm ist, ist wohl jedem klar. Doch ebenso sollte einem bewusst sein, dass man nur durch Konfrontation wachsen kann. Wir sind alle komplexe Individuen mit unterschiedlichen Wünschen und Sorgen. Wir sollten keine Angst haben, vor dem, was wir sind oder vor dem, was uns zugestossen ist. Nur wer sich selbst kennt, hat die Chance auf Heilung und Selbstverwirklichung. Und nun los, durchsucht eure Türme!

In meinem Beitrag schreibe ich über ein Gedicht von Friedrich Nietzsche, das über 100 Jahre alt ist, doch trotzdem kann ich mich damit sehr gut identifizieren. Der Psychoanalytiker Erik Erikson spricht von Konflikten, die man in jedem Altersstadium des Lebens zu lösen hat. Im Jugendalter wird diese Krise durch die Identitätsfindung charakterisiert. Und meiner Meinung nach, kann dies nichts so gut aufzeigen, wie das Gedicht Vereinsamt.