Die Erleichterung und der Jubel waren gross, als am 29. April 1945 die Alliierten im KZ Dachau einmarschierten. Die Freiheit war in Sicht, sie hatten es geschafft!
So dachten zumindest viele der 32’000 Häftlinge, die zur Zeit der Befreiung im Lager lebten. Sie wussten nicht, dass viele von ihnen Jahrzehnte würden warten müssen, um als Opfer anerkannt zu werden. Ihre Zeit im KZ war vorbei, die Diskriminierung allerdings nicht.

Kennzeichnung der Häftlinge

Das KZ in Dachau war ein Arbeitslager, in dem Gefangene aus vielen verschiedenen Gründen inhaftiert wurden. Um sie voneinander zu unterscheiden, entwickelte man ein System von angenähten Kennzeichen, die die Insassen sichtbar auf ihrer Uniform zu tragen hatten. Sie halfen nicht nur den SS-Soldaten, die Häftlinge zu unterscheiden, sondern sie begünstigten auch die Diskriminierung unter den Gefangenen selbst. Diese fand nicht nur während der Zeit im Lager, sondern auch danach statt.

Bild: Bundesarchiv Bild 146-1993-051-07, Tafel mit KZ-Kennzeichen (Winkel).jpg

«Homosexuelle»

Den rosafarbenen Winkel trugen all diejenigen, die als homosexuell beschuldigt und gemäss Paragraph 175, der im deutschen Strafgesetzbuch seit 1872 existierte, inhaftiert wurden. Ihm nach waren sexuelle Handlungen unter zwei Männern verboten und konnten demnach bestraft werden. 1935 erhöhten die Nationalsozialisten die einstmalige Höchststrafe von 6 Monaten auf 5 Jahre Haft, die jedoch leicht zu verlängern war.
Doch nicht nur Homosexuelle wurden unter diesem Vorwand inhaftiert . Meist genügte bereits der Verdacht, Prozesse gab es selten.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die noch lebenden Träger des rosa Winkel zwar befreit, doch galt §175 weiterhin. Zwar reduzierte man die Strafen wieder auf die der Vornazizeit, doch galt das Gesetz noch beinahe vierzig Jahre lang. Erst 1988, zwanzig Jahre nachdem das Gesetz in 1968 auch für sexuelle Handlungen zwischen Frauen ausgeweitet worden war, wurde es ersatzlos gestrichen.

Demnach waren Homosexuelle während der Zeit des Nationalsozialismus «zurecht» eingesperrt worden. Anerkennung oder eine Entschädigung für das ihnen angetane Leid waren lange nicht zu erwarten. Auch beim 1965 geschaffenen Mahnmal des Künstlers Nandor Glid wurden die rosa, wie auch die grünen und schwarzen Winkel (für «Berufsverbrecher» und «Asoziale») auf Beschluss des CID (Comité International de Dachau) nicht umgesetzt.

Erst in den 1990er Jahren wurde der Gedenkstein für den rosa Winkel offiziell in das Museum auf dem einstigen KZ-Gelände aufgenommen. Zuvor stand er bereits zwei Jahre lang in der evangelischen Versöhnungskirche im hinteren Teil der Gedenkstätte.

«Berufsverbrecher» und «Asoziale»

Noch länger als die Häftlinge mit rosa Winkel mussten diejenigen für offizielle Anerkennung als ungerechtfertigte Opfer des NS-Regimes warten, die als sogenannte Berufsverbrecher und Asoziale abgestempelt wurden. Erst vor drei Jahren nahm der Bundestag den Antrag zur Anerkennung an. Zu wissen, wer diese Menschen waren, die so lange auf dieses Ereignis warten mussten, ist ein essenzieller Teil der Vergangenheitsaufarbeitung.

Der Begriff «Berufsverbrecher» wurde für Wiederholungstäter verwendet, in der Annahme, die Kriminalität läge in ihren Genen. Unbefristet wanderten sie unter dem Vorwand der «Sicherungsverwahrung» in eines der KZs, von wo aus sie die Gesellschaft nicht mit ihren kriminellen Ideen «anstecken» konnten. Kleinere Verbrechen wie Diebstahl wurden oft übermässig hart bestraft und abgesessene Strafen verlängert.

Unter die Kategorie der «Asozialen» fielen Sinti und Roma, Bettler, Obdachlose, Alkoholiker, Prostituierte und viele weitere Randgemeinschaften der damaligen Gesellschaft. Diese galten als «Ballastexistenzen» und machten vor dem Krieg die grösste Zahl Gefangenen in KZs aus. Im Jahr 1942 wurde dann offiziell beschlossen, dass «Vernichtung durch Arbeit» die beste «Verwendungsmöglichkeit» für Häftlinge mit dem schwarzen Winkel wäre.

Nach über siebzig Jahren der Vernachlässigung und weiterer Diskriminierung wurde im Februar 2020 schliesslich der Antrag zur Anerkennung dieser beiden Gruppen angenommen. Dazu gehört die wissenschaftliche Neuaufarbeitung der Vergangenheit mit neuem Fokus, wie auch eine geplante Wanderausstellung zu dem Thema. Auf der Website: https://www.stiftung-denkmal.de/ausstellung/die-verleugneten/ sind bereits viele Informationen wie auch Biografien Betroffener zu finden. Die Wanderausstellung selbst ist für den Sommer 2024 angesetzt.

Die Arbeit ist noch nicht getan

Trotz guten Vorsätzen für die Zukunft können wir kaum schon von Gleichheit unter den Opfern des NS sprechen. Der aktuelle Geschichtsunterricht schliesst marginalisierte Gruppen nahezu vollständig aus. Die geplante Wanderausstellung ist sicherlich ein Anfang, wenn auch noch lange nicht das Ende. Die Vernachlässigung dieser Gruppen der Vergangenheit können wir nicht mehr ändern, doch es liegt an uns, sie in der Zukunft nicht wieder zu vergessen.

KZ-Gedenkstätte Dachau

Bildquellen

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