Cécile Kienzi hat sich Anfang 2021 fürs Militär entschieden und mit ihrer Vertragsunterschrift eingewilligt, das Land im Ernstfall zu beschützen. Ich hatte das Glück sie interviewen zu dürfen.

Stell dich doch kurz eimal vor

Ich heisse Cécile. Ich habe erst das KV gemacht und anschliessend eine Journalistenausbildung bei Watson. Im Januar 2021 bin ich dann ins Militär als Infanterist und habe dann bis zum Wachtmeister weitergemacht. Seit November studiere ich wieder normal.

Was hat dich dazu bewegt ins Militär zu gehen?

Ich habe mich schon immer sehr fürs Militär interessiert. Es war früher als Jugendliche etwas, was als ‹cool› galt und ich habe die Leute bewundert, die diesen Weg gegangen sind. Vielleicht hatte diese Faszination auch ein bisschen damit zu tun, dass man von diesen amerikanischen Filmen ein gewisses Idealbild hat. Ausserdem war ich oft mit meinem Vater, der früher Leutnant war, an Besuchstagen verschiedener Truppengattungen. Diese Arbeit hat mich immer fasziniert und ich wusste, dass ich das auch machen will. Nach dem Orientierungstag, den ich mit 18 gemacht habe, war ich zwar noch interessiert, wollte dann aber doch erst arbeiten gehen und habe mich dann erst im 2020 definitiv fürs Militär entschieden. Ich will das Land im Notfall beschützen.

Wie sieht so ein Orientierungstag aus?

Ich war an dem Orientierungstag für Frauen. Dieser ist wie ein Schnuppertag. Du erlebst zwar nicht, was Militär als solches bedeutet, aber es wird versucht die Atmosphäre wiederzugeben. Es sind uniformierte Leute um dich herum, du bekommst Militäressen und Frauen erzählen dir von den verschiedenen Funktionen. Auch wird dir erklärt, wie du dich am besten vorbereiten kannst, damit du die Funktion bekommst, die du willst. Der Orientierungstag ist auf jeden Fall gut, aber eigentlich nicht ausreichend, weil das Feeling in echt ganz anders ist.

Als du aufgenommen wurdest: Was hat dich am Anfang am meisten geschockt?

Es ist natürlich eine komplett andere Welt. Du hast andere Kleider an, andere Leute sind um dich herum. Der Umgang ist ganz anders und auch der Wortschatz ist nicht mit dem normalen Alltag vergleichbar. Am Anfang ist der Abstand zu den Vorgesetzten enorm. Du weisst nichts über sie ausser den Nachnamen. Ich habe mich aber mental darauf vorbereitet. Heisst ich habe mit vielen geredet die das Militär gemacht haben. Vor allem mit meinem Freund, der den Infanterist ebenfalls gemacht hat, nur in Chur und ich in St. Gallen, Gossau.

Kaserne St. Gallen, Gossau

Ist es ein grosser Unterschied, ob man nach Chur oder nach St.Gallen geht?

Ja es ist schon ein Unterschied. Also klar: Die Ausbildung ist die gleiche. Aber je nach Kaserne und Standort, ist ein anderes Berufsmilitär dafür zuständig. Diese Leute bestimmen den Ablauf und wie das Kader (Wachtmeister und Leutnant) ausgebildet wird. Mein Freund hat mir Sachen erzählt, die bei uns nie möglich gewesen wären und umgekehrt. Je nachdem wie die Wachtmeister ausgebildet wurden, behandeln sie die Rekruten auch anders. Wenn sie als Rekruten selber runtergemacht wurden von den Wachtmeister, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie genauso als Wachtmeister werden. Das ist dann eben der Unterschied der existiert.

Wenn man mit den 18 Wochen Rekrutenschule fertig ist, wie gehts danach weiter?

Du musst eine gewisse Anzahl Diensttage erfüllen. Ein paar davon erfüllst du, in dem du die RS (Rekrutenschule) machst, die je nach Funktion 18 bis 21 Woche dauert. Nach Zwölf Wochen wirst du zum Soldat, um danach noch fertig zu machen. Ab dann ist die RS abgeschlossen und jedes Jahr hat man vier Wochen Wiederholungskurs, bis die Diensttage abgeschlossen oder man zu alt ist. Eine andere Möglichkeit ist der Durchdiener. Dann machst du all deine Diensttage auf einmal fertig und wirst nach einem Jahr entlassen. Man kann auch weitermachen bis zum Wachtmeister oder sogar zum Leutnant. Der Wachtmeister (in der Infanterie) bildet die Rekruten aus und wird selber ausgebildet, um die eigene Truppe zu führen.

Das Militär hat doch sicher eine allgemeine Struktur. Kannst du diese beschreiben?

Um von Anfang an anzufangen: Die ersten sechs Wochen sind Grundausbildung, die in jeder Funktion etwa gleich sind. Dort wird dir beigebracht wie du mit dem Gewehr umgehst, wie du in einem Kampf erste Hilfe leistest. Wie jemand festgenommen wird und wie man jemanden durchsucht. Jeden Tag lernt man etwas Neues. In der Infanterie trainiert man sehr viel das Schiessen. Ob im Stehen, Sitzen, Liegen oder Gehen. In der Infanterie sind die nächsten sechs Wochen die Gruppenausbildung. In den ersten zwei Wochen davon wird man auf die eigene Spezialisierung ausgebildet. Es gibt den Fahrer, den Sprenger (den habe ich gemacht), der LMg – das ist der mit dem grossen Maschinengewehr, die Panzerfaust und der Truppchef. In den letzten sechs Wochen geht es darum, als ganze Kompanie zu üben. Da liegt der Fokus vor allem auf der Ausbildung des Leutnants.

Und wie sieht so ein typischer Tagesablauf aus in der Infanterie?

Ein klassischer Tag sieht folgendermassen aus: Aufgestanden wird um 5:35 Uhr und um 6:00 Uhr bis etwa halb sieben gibt es Frühstück. Um 6:45 Uhr muss das Zimmer aufgeräumt sein, weil dann die AV (Antrittsverlesung) stattfindet. Dabei müssen die Versen auf der gleichen Höhe sein wie die deines Nachbarn links und recht von dir. Und das gestaltet sich zum Teil noch recht schwierig mit 150 Personen.

Haltung während der AV

Ist die AV beispielsweise um 7:15 Uhr zu Ende, dann muss bis um halb acht alles für die EV (Einsatzvorbereitung) gepackt sein. Dabei geht es darum zu kontrollieren, ob man alles dabei hat. Sobald das durch ist, geht es mit der Ausbildung los. Am Abend wird gegessen und um 19:00 Uhr war dann WEB (Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft).

Auf SocialMedia postest du Content, der sich darauf bezieht, als Frau im Militär zu sein. Hast du viel Kritik bekommen, als du damit angefangen hast das publik zu machen?

Mein Umfeld hat recht gelassen darauf reagiert, sie haben das ja schon länger gewusst, dass ich das Militär in Betracht ziehe. Was Fremde im echten Leben gesagt haben war mir von Anfang an ziemlich egal. Sie kennen mich ja nicht und können nicht über mich urteilen. Damals hatte mich aber ein Kolleg gefragt, ob ich denn Krieg cool fände, weil ich ins Militär will. Dort hat mich das noch verunsichert und ich habe mir gedacht: «Scheisse, eigentlich hat er recht.» Heute denke ich aber so darüber, dass es ein Unterschied ist, ob du lernst, anzugreifen, oder zu verteidigen. Ich finde, das sind zwei verschiedene Sachen. Auf SocialMedia aber polarisiert das Thema. Als ich dazumal mein erstes TikTok hochgeladen habe, hatte ich über Nacht 200’000 Views und etwa 5000 neue Follower. Und das nur weil ich eine Frau in Uniform war. Nebst den positiven Kommentaren gab es natürlich auch Leute, die das Militär nicht gut finden oder ein Problem damit haben, wenn Frauen so etwas durchziehen. Ich wurde auch mit sehr vielen Vorurteilen konfrontiert wie zum Beispiel «Mannsweib» oder «Du gehst doch eh nur wegen den Männern». Mittlerweile kann ich das aber gut ausblenden.

Das was im Militär halt ist: Jeder sieht, dass du eine Frau bist. Und nicht nur das Geschlecht ist es, was dich aus der Masse herausstechen lässt. Sondern die offensichtliche Tatsache, dass du im Gegensatz zu den anderen freiwillig hier bist. Die Tatsache, dass die Männer zum Militär gezwungen werden, schweisst sie zusammen. Als Frau wird dir auch das Recht abgesprochen, in gewissen Situationen zu motzen, weil «man ja freiwillig hier ist». Und das ist das, was mich am meisten aufregt. Noch mehr als dieses «Du gehst doch eh nur wegen den Männern».

Mit der Zeit aber integriert man sich auch als Frau gut. Aussenseiter sind eh nur die, die sich vor jeder Arbeit drücken. Die Kameradschaft ist etwas sehr essentielles. Man wächst total zusammen und erlebt Sachen miteinander, die man sonst niemals erleben würde. Ich weiss noch, als wir einmal einen langen Marsch hatten. Es war extrem heiss und meine Fersen haben geblutet. Zum Schluss ging es ziemlich bergaufwärts und ich konnte einfach nicht mehr. Einer meiner Kameraden hat dann angefangen mich das letzte Stück denn Berg hinauf zu stossen und für das werde ich ihm ewig dankbar sein.

Das ist extrem schön

Ja, auf jeden Fall. Natürlich gibt es immer Leute, die du nicht magst. Aber selbst für die würdest du einstehen, wenn es hart auf hart kommt. Das ist das Schönste.

Was würdest du Frauen raten, die zwar ins Militär wollen, aber Angst davor haben?

Mir schreiben sehr viele auf Instagram und das häufigste was ich lese ist: «Ich habe Angst was die anderen darüber denken». Ich verstehe das, weil ich diese Angst auch hatte. Weil schlussendlich hat man immer Angst davor, verurteilt zu werden für das, was man tut und wer man ist. Aber dir muss das egal sein, weil es ist DEIN Leben. Ich habe mir immer die Frage gestellt: «Wenn ich in zehn Jahren auf mein Leben zurückschaue, würde ich es bereuen oder nicht, wenn ich jetzt nicht diesen Weg gehe?» Und bei mir war die Antwort ganz klar «Ja!». Und wenn du gut mitmachst, dann integrierst du dich auch automatisch.

Im Militär selber kann es dazu kommen, dass man manchmal bei Missetaten weniger bestraft wird, als die Männer – das hat dann aber eher mit den Vorgesetzten zu tun, die vielleicht zu Beginn etwas überfordert sind, wenn eine Frau da ist. Es kann auch passieren, dass man weniger gelobt wird, damit nicht der Eindruck entsteht, man werde bevorzugt behandelt. Das ist dann aber nicht der Fehler der militärischen Struktur an sich – weil dort sind wir gleichberechtigt. Sondern es geschieht eher unabsichtlich und unterbewusst.

Ich denke dieses Verhalten wird sich erst ändern, wenn Dienstpflicht für alle herrscht. Weil erst dann ist die Frau keine Exotin mehr in dem Fach, da sie freiwillig dort ist.

Was wünschst du dir vom Militär?

Dass es sich weiter sensibilisiert, was Frauen betrifft. Klar, wir sind freiwillig dort und mir persönlich macht das nichts aus. Aber was mich wirklich stört ist, dass das Militär so tut als wäre es für Frauen gemacht. Es ist offensichtlich dass es nur auf Männer zugeschnitten ist. Und eben, mich stört es nicht, aber damit zu werben finde ich nicht so toll.

Danksagung

Vielen herzlichen Dank Cécile, dass du dir die Zeit genommen hast um meine Fragen zu beantworten.

Social Media Accounts von Cécile Kienzi

Quellen:

Titelbild: Copyright Daniel Pochetti

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