Die Welt ist ungerecht. Eine Binsenweisheit, die seit längerer Zeit als Tatsache hingenommen wird. Im 19. und 20. Jahrhundert wendete man dies noch auf ganze Kontinente an. Das reiche, fortgeschrittene Europa galt als Symbol menschlicher Schaffenskraft, während die von den Europäern kolonisierten Kontinente Afrika und Asien als zweitklassig, gar minderwertig angesehen wurden. Doch auch in Europa liessen sich starke Ungleichheiten in der Bevölkerung ausmachen. Der Adel bestimmte über die Bauern, der Fabrikbesitzer über den Arbeiter. Am klarsten liess sich diese Machtungleichheit durch das Einkommen dokumentieren. Die arbeitende Klasse blieb während Jahrhunderten arm und unterdrückt, während eine kleine reiche Schicht über den politischen und wirtschaftlichen Fortgang der Gesellschaft bestimmte.

Diese Mechanismen haben sich mit dem Ende der Kolonien in den letzten Jahrzehnten, zumindest in Europa, vermindert. Doch während sich in den meisten europäischen Ländern eine stabile Mittelschicht etabliert hat, hat sich das Machtgefüge in Entwicklungsländern immer stärker verschoben. Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer.

Dieses Problem blieb stets Herausforderung und Interessensbereich zugleich für Philosophen als auch für Ökonomen. David Ricardo, ein britischer Ökonom, versuchte anfangs des 19. Jahrhunderts als Erster, soziale Ungleichheit systematisch zu erfassen. Später machte Karl Marx als kommunistischer Pionier die Einkommensungleichheit in der industriellen Gesellschaft zum Hauptthema seiner Werke. Max Otto Lorenz, Sohn deutscher Migranten in die USA, gelang es schliesslich 1905 gesellschaftliche Einkommensverteilung grafisch darzustellen. Basierend auf Lorenz’ Arbeit formalisierte 1912 der italienischen Statistiker und Soziologe Corrado Gini die Lorenz-Kurve mathematisch. Gini, später ein Sympathisant des faschistischen Regimes in Italien unter Mussolini und Verfasser der Theorie des Faschismus, entwickelte einen Koeffizienten, um Vergleiche zwischen den Ländern möglich zu machen. Dieses findet vor allem in der Wirtschaftswissenschaft Anwendung. So können Ökonomen, basiert auf Daten des Gini-Koeffizienten ableiten, wie ausgeglichen die Wirtschaft und damit die Gesellschaft eines Landes ist.

Berechnung

Der Gini-Koeffizient wird aus der Lorenz-Kurveabgeleitet, eine mathematische Funktion, welche die statistische Einkommensverteilung eines Landes grafisch wiedergibt. Dargestellt wird auf der horizontalen Achse die Anzahl Haushalte (in Prozent oder als Nummer) zusammen mit ihrem Anteil am Gesamteinkommen des Landes. Die Winkelhalbierende stellt die absolute Gleichverteilung, demnach die totale gerechte Gesellschaft, dar. Je stärker die Kurve nach unten gekrümmt ist, desto ungleicher ist die Verteilung des Einkommens.

Bis zu diesem Punkt lässt sich die Einkommensverteilung zwischen zwei Ländern nur durch das Übereinanderlegen zweier Graphen vergleichen. Und hier kommt Gini ins Spiel. Gini entwarf das Konzept, wonach die Fläche zwischen Kurve und Gleichverteilung durch die Fläche des gesamten Dreiecks dividiert wird. Ein Wert von 0 stellt dabei demnach die perfekte Verteilung des Einkommens dar, ein Wert von 1 die totale Ungleichheit. Beide Werte sind von theoretischer Natur, so liegt in der realen Welt der Gini-Koeffizient immer dazwischen. Je tiefer der Gini-Koeffizient, desto besser verteilt ist das Einkommen.

Von weltweiter Bedeutung

Der Gini-Koeffizient machte einen effizienten Vergleich zwischen den Ländern erst möglich. Auf dieser Theorie basierten in der Folge zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten, die durch die Analyse der Einkommens- oder Vermögensverteilung wirtschaftskritische Analysen in Bezug auf unser Wirtschaftssystem erstellten und so aufzeigten, wo die zum Teil frappante soziale Ungerechtigkeit verursacht wird.

Die Schweiz liegt im weltweiten Vergleich im oberen Bereich, europäisch aber nur im Mittelfeld, wie die Statistik von Finanz und Wirtschaftzeigt. Die Statistik zeigt auf, dass Wohlstand und Einkommensgleichheit nur bedingt zusammenhängen. Die Schweiz ist eines der Länder mit den höchsten Lebensstandards, trotzdem scheint noch Potenzial vorhanden, um auch der schlechter verdienenden Bevölkerungsschicht ein besseres Leben zu ermöglichen. Der Gini-Koeffizient als Indikator zeigt dabei seine ganze Nützlichkeit.

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